.. Der Kopf gilt als Entsprechung des Allerheiligsten. Wenn sich der Schüler über den Hals hinaus bis in den Kopfbereich begibt, aktiviert er jene Wahrnehmungszentren, die der Erfahrung der unbedingten Freude und der Ganzheit entsprechen. Durch Harmonisierung der Yin- und Yang-Energie erzeugt der Mensch das Gleichgewicht seines Energiesystems. Sobald die Blockierungen beseitigt sind, die den Energiefluß daran hinderten, über Hals und Kehle hinaus in den Kopf zu strömen, kann die Energie zu den höchsten Energiezentren fließen und durch sie hindurch weiter bis ins sechste und siebte Chakra, deren physische Verkörperung die Epiphyse beziehungsweise die Hypophyse sind. Wenn die Energie ungehindert von der Basis der Wirbelsäule bis zum Scheitel fließen kann, steht der Vereinigung mit dem universellen Kraftfeld nichts mehr im Wege. Alle Hindernisse sind beseitigt, und der Schüler tritt ein in das Allerheiligste, in dem das „Ich bin“ mit dem „All-Seienden“, dem universellen Energiefeld und Bewußtsein, verschmilzt.
Die Wirbelsäule ist die Verbindung zwischen den drei Bereichen des menschlichen Körpers. Sie ist aus esoterischer Sicht außerordentlich wichtig. In der taoistischen Überlieferung ist sie die Bahn, die der „Gouverneur“ nimmt. An der Basis der Wirbelsäule, an der Stelle, von der aus nach Tao-Auffassung die beiden Strömungen der Chi-Energie in den Körper des Menschen fließen, soll die Kundalini-Shakti, die Energie der zusammengerollten Schlange, ihren Sitz haben, so heißt es in den Tantras. Danach soll diese „zusammengerollte weibliche Energie“ der kraftvollste Strom psychischer Energie im Körper sein. Wenn die Schlangenkraft sich entrollt, setzt sie starke Ströme frei, die die Chakras aktivieren, die ebenfalls entlang der Wirbelsäule angeordnet sind. Die alten Ägypter glaubten, daß die Wirbelsäule die oberen und unteren Himmelskräfte miteinander verbindet. Dieses Bild beschreibt treffend die belebende Eigenschaft der Kundalini, die unser Bewußtsein regeneriert, wenn sie sich entrollt und an der Wirbelsäule entlang nach oben bewegt ..
In der alten Yoga-Überlieferung heißt es, daß der Schüler durch Disziplin und Übung die Kundalini aktivieren kann. Zuerst wendet sich der Kopf der Schlange nach oben, danach steigt sie durch die Sushumna aufwärts, bis sie das Scheitelchakra erreicht. Wenn es soweit ist, wenn die Kundalini ganz erweckt ist, verschmelzen Ida und Pingala mit Sushumna und bilden einen einzigen Kanal, durch den die Lebenskraft strömt, und der Schüler gelangt zur Erleuchtung.
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Alte Yogi-Texte besagen, daß Ida und Pingala, mit Sushumna die beherrschenden Nadis, zu beiden Seiten des ersten Chakras (Muladhara) ihren Anfang nehmen. Ida führt durch die linke Nasenöffnung, Pingala durch die rechte. Diese Kanäle sind die Gänge für lebenswichtige Energie, die in der chinesischen Medizin als Chi (oder Ki) bezeichnet wird und in den Yoga-Sutras Prana genannt wurde. Die Nadis sind bei der psycho-spirituellen Integration für uns von Bedeutung.
Die Susumna stellt die direkte Verbindung zwischen den sieben Zentren dar und ist nicht nur imstande eine Synthese der solaren und lunaren Ströme zu bewirken, sondern auch die Kräfte des höchsten und des niedrigsten Zentrums zu vereinen, bzw. die synthetisierten solaren und lunaren Energien von Zentrum zu Zentrum zu sublimieren und auf die Ebene des „Tausendblättrigen Lotos“, des vieldimensionalsten Bewußtseins zu erheben.
Wenn der Knoten des Herzens gelöst ist und alle Zweifel abgeschnitten sind, und des Menschen Werk ist beendet, dann wird DAS gesehen, was sowohl oben wie unten ist.
Wenn alle Knoten des Herzens gelöst sind, dann wird selbst hier, in diesem Menschenleben, der Sterbliche unsterblich. Das ist aller Lehren Lehre.
Der vollendete Mensch, der Erleuchtete aber, vereinigt die beiden Seiten der Wirklichkeit: er vereint in sich die Tiefe der Nacht und die Helle des Tages, das Dunkel des allumfassenden Raumes und das Licht der Sonnen, die zeugende Urkraft des Lebens und die lichte allesdurchdringende Macht der Erkenntnis.
In diesem Sinne repräsentieren:
Pingala (männlich, gebend), das Elixier des Sterblichen Lebens
Ida (weiblich, empfangend), das Elixier der Unsterblichkeit.
Die zeugende Urkraft des Lebens ist blind ohne die Kraft der Erkenntnis (des erkennenden Bewußtseins) und wird zum endlosen Spiel der Triebe im Kreislauf der Wiedergeburten Samsara. Die Kraft der Erkenntnis ohne die einende Urkraft des Lebens wird zum zersetzenden Gift des Intellektes, zum lebensfeindlichen, dämonischen Prinzip.
Wo jedoch diese beiden Kräfte zusammenwirken, sich durchdringen und ergänzen, da entsteht die heilige Flamme des erleuchteten Geistes bodhicitta, die sowohl leuchtet wie wärmt, in der die Erkenntnis zu lebendiger Weisheit wird und der blinde Daseinsdrang stürmender Leidenschaften zur Kraft allumfassender Liebe.
So wie Ida und Pingala sich als zeugendes und erkennendes, männliches und weibliches Prinzip gegenüberstehen, so stehen sich die unteren (zeugenden und nährenden) Zentren den oberen (erkennenden und formulierenden, sowohl wie unterscheidenden) Zentren gegenüber.
Und so wie die Susumna in der Mitte steht, zwischen beiden vermittelt und beide in sich aufnimmt, so vermittelt das Herz-Zentrum zwischen den unteren und oberen Zentren und wird, nachdem die Vereinigung der polaren Kräfte im höchsten Zentrum stattgefunden hat zur Stätte der Verwirklichung auf der Ebene des Menschlichen. Denn die drei Zonen stellen im Grunde nichts anderes dar als:
1). die Ebene des Irdischen, d.h. erdhafter, erdgebundener, elementarer Kräfte der Natur, des Körpers, des Materiellen (formgewordener Vergangenheit);
2). die Ebene des Kosmischen, Universellen, der ewigen Gesetzmäßigkeit, des zeitlosen (vom menschlichen Standpunkt zukünftigen Wissens, der reinen in sich ruhenden Erkenntnis der Unendlichkeit, der Grenzenlosigkeit des Raumes und der in ihr beschlossenen Formmöglichkeiten, der Großen Leere sunyata.
3). die Ebene des Menschlichen, die Ebene individueller Verwirklichung, auf der Irdisches und Kosmisches seelisch bewußt, d.h. gefühlsdurchdrungen und zur lebendigen Gegenwart wird.
Darum wird das Herz-Zentrum zum Sitz der Keimsilbe hum im Gegensatz zum om des Scheitelzentrums. Im Symbol der Einschmelzung von hum, werden Erkennen und Fühlen, Wissen und Liebe, Licht und Wärme zu Eins.
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