Lao-Tse
Zielweiser – Nicht Vielwisser
Die alten Weisen – Täter des TAO
Brachten den Menschen nicht die Vielfalt des Wissens
Sondern lehrten die Einfalt der Weisheit
– Denn Vielwisser sind Zielungewisse und schwer zu leiten –
Wer die Menschen nur durch Wissensmehrung fördern will
Führt sie ins Verderben.
Wer ihre Weisheit mehrt
Dient ihrem Heil.
Wer beides bedenkt
Ist Zielweiser und Leitbild.
Zielweiser sein, heißt Träger der Tugend sein.
Teh – die Fülle der Tugend
Quillt aus der Tiefe
Strömt in die Weite
Überwindet Unweisheit und Widerstand
Und leitet alles Leben zum Meer der Erfüllung.
Foto: A. + I. S. – Kirgistan
Foto: A. + I. S. – Mongolei
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Lao-Tse
– Weniger ist Mehr –
Aus Tao ward der Eine
Der Eine zeugte die Zwei
Zwei schuf Drei
Aus Drei erfloß die Vielzahl der Wesen,
Die Außen Schein sind und Innen Sein
– Beides geeint durch den Geist –
Die Vielen fürchten das Innen- Einsam- und Wenigsein
Die Wenigen, die Führenden
Geben ihm den Vorzug
Wissend, daß Mehr – Sein Weniger ist
Und Weniger Mehr
Was die Weisen lehren, lehre ich auch:
Gewalt zerbricht an sich selbst.
Darum leitet meine Lehre zum Lassen.
Foto: A. + I. S. – Türkei
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E.S.
– Weniger ist Mehr –
Alles ist leicht
was nicht schwer beladen ist
Am Freiesten ist der lichte Raum
Nur der lichte Raum ist voll von Möglichkeiten
Denn der „volle“ ist besetzt
Und was besetzt ist
Ist festgefahren
Ist nicht verfügbar
Ist energieraubend
– Je weniger um so mehr –
Je weniger Dinge
Umso mehr Ordnung – einfacher ausgerichtet sein –
Freiheit durch Losgelöstheit
Und Nichtanhaften
Loslassen ist Rückführung
Treiben in der Energie
– Zurückfinden –
Unkompliziert ist Einfach
Nicht Festgelegt ist Frei
Die Schöpfung ist dynamisch
Im Einfachen und
nicht Festgelegten
Leere und Lehre sind Fülle
Sie umfassen Alles
Geschwindigkeit und Chaos oder Unkontrolliertheit
Sind selbstgeschaffener Wahnsinn
(wie das Wort „Wahn“ schon sagt)
Foto: A. + I. S. – Mongolei
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Lao-Tse
– Nutzen des Nichts –
Dreißig Speichen treffen sich in der Nabe
Doch erst der Leerraum
– das Nichts in der Nabe –
Bedingt den Nutzen des Rades.
Ton knetend, formt man daraus Gefäße
Doch erst ihr Hohlraum
– das Nichts –
Ermöglicht die Füllung.
Aus Mauern – durchbrochen von Türen und Fenstern –
Baut man ein Haus
Doch erst sein Leerraum
– das Nichts –
Gibt ihm den Wert.
Die Null, das Nichts hinter einer Zahl
Verzehnfacht ihren Wert.
Das Sichtbare – das Seiende
Gibt dem Werk die Form
Das Unsichtbare – das Nichts –
Gibt ihm Wesen und Sinn.
Foto: A. + I. S. – Kasachstan
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Deng Ming-Dao
– Flöte –
.. Das Hohle und der Atem verbinden sich, um Töne zu erzeugen.
Der große Nutzen des Tao liegt in seiner Leerheit.
Die Hohlheit des Schilfrohrs macht aus ihm Flöten.
Das Tao des Atems erzeugt die Bewegung des Universums.
Die Flöten allein können nicht Musik machen.
Flöten machen Musik, weil sie hohl sind. Aber die Hohlheit allein reicht nicht aus. Es muß eine bestimmte Länge hinzukommen. Wenn das Längenmaß der Hohlheit festgesetzt ist, ist die Tonhöhe der Flöte bestimmt. Daran läßt sich nichts mehr ändern: Eine Flöte bleibt ihrem Charakter treu.
Eine Flöte bleibt sich gleich, doch sie weist zusätzliche Löcher auf. Noch mehr Nichts – die dem Tao folgen, sind entzückt! Aber dieses Nichts muß exakt plaziert werden, wenn der Charakter der Flöte – der sich aus der Länge des Nichts ableitet – gewahrt bleiben soll. In jedem Fall, so besagt Tao, würde das Instrument nicht von Nutzen sein, wenn das Nichts nicht vorhanden wäre.
Aber wer macht sich dieses Nichts zunutze?
Wenn die Musik in den Flöten enthalten wäre, würden sie auch Musik machen, wenn sie auf einem Felsen herumlägen. Aber das können sie nicht. Es ist die Spielerin, die die Musik macht.
Also vergeuden Sie nicht die Zeit mit der Betrachtung des Instruments. Hören Sie auf die Person, die es spielt. Sie werden Atem hören, der das Nichts passiert.
Wie kann uns so Weniges so sehr bewegen?
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Deng Ming-Dao
– Weiß –
Weiß ist das Symbol für Reinheit. Bei Zeremonien und Ritualen steht diese Farbe für Spiritualität.
Ausgehend von ihrer Lehre, daß wir bereits rein sind, lachten die Alten über die Lehrer, die Buße und Selbstkasteiung als spirituelle Methoden befürworteten. Sie sagten: „Wir sind bereits heilig. Warum sollten wir uns abmühen, etwas zu werden, was wir bereits sind?“
Die Meister der Buße hielten dagegen, daß wir uns läutern müssen, uns reinigen müssen von widerwärtigen Wünschen und Begehren, um zur reinen Seele im Innern zu gelangen.
Die Alten gaben darauf zur Antwort: „Wenn sich ein Prinz in andere Gewänder hüllt, ändert das etwas an der Tatsache, daß er ein Prinz ist? Du bist schon TAO. Warum solltest du so dumm sein, dich herabzusetzen, wenn du doch schon in Vollkommenheit geboren wurdest?“
Die Meister der Buße erklärten: „Die Menschen sind schlecht. Die Menschen sind von Gier erfüllt. Selbst ein unschuldiges Kind wird in diesem Ozean des Leidens verdorben. Laßt uns Heiligkeit praktizieren, damit wir in den reinen Zustand zurückkehren können.“
Die Alten lächelten nur und sagten: „Wenn wir einen Stein aufheben und ihn immer wieder abreiben, können wir dann einen Diamanten aus ihm machen?“
„Nicht, wenn er nicht schon ein Diamant ist“, räumten die Meister der Buße ein.
Und daraufhin gingen die Alten ihrer Wege.
Foto: A. + I. S. – Kirgistan
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Gibran
– Weiß, aber leer –
Sagte das Blatt Papier, das ganz weiß, wie der Schnee war: „Ich wurde rein geschaffen und werde rein bleiben“. Und wenn ich die Wahl hätte, würde ich es eher vorziehen, verbrannt zu werden und zu Asche zu zerfallen, als zu leiden, wenn mich die Schwärze berührt oder das Unreine streift.“
Das Tintenfaß hörte es und lachte im Grunde seines düsteren Herzens, aber es wagte sich keineswegs zu nähern. Und die Farbbleistifte hörten es auch, ohne deshalb zu ihm zu kommen.
So konnte das Blatt Papier, das ganz weiß wie der Schnee war, für immer rein und keusch bleiben, rein und keusch, aber vor allem leer.
Foto: A. + I. S. – Türkei
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Tschuang-Tse
– INTUITION –
Es war einmal ein Künstler, der konnte Geräte runden, daß sie genau mit dem Zirkel übereinstimmten. Es lag ihm in den Fingern, so daß er sich gar nicht darüber zu besinnen brauchte. Darum blieb seine seelische Natur einheitlich, so daß ihr kein Widerstand entgegentrat.
Wenn man die richtigen Schuhe hat, so vergißt man seine Füße.
Wenn man den richtigen Gürtel hat, vergißt man die Hüften.
Wenn man in seiner Erkenntnis alles Für und Wider vergißt, dann hat man das richtige Herz.
Wenn man in seinem Innern nicht mehr schwankt und sich nicht nach andern richtet, dann hat man die Fähigkeit, richtig mit den Dingen umzugehen.
Wenn man erst einmal so weit ist, daß man das Richtige trifft und niemals das Richtige verfehlt, dann hat man das richtige Vergessen dessen, was richtig ist.
Foto: A. + I. S. – Kirgistan
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Deng Ming-Dao
– Seele –
Die Seele ist unsichtbar. Ist sie überhaupt existent?
Antworten Sie rasch. Haben Sie eine Seele?
Das ist eine entscheidende Frage. Und Sie müssen dieser Frage zutiefst nachgehen, denn die Antwort darauf wird über Ihre ganze Einstellung zur Spiritualität entscheiden.
Es reicht nicht aus, daß Sie aus Ihren Erfahrungen heraus zu intellektuellen logischen Schlußfolgerungen gelangen und die Seele dazu benutzen, alles zu erklären, was den Bereich Ihrer Vorstellungskraft übersteigt. Das ist zuviel Faulheit. Und schlimmer noch, es wird Sie zu keiner befriedigenden Antwort führen.
Wenn Sie sagen, daß Sie die Seele sind, dann fragt sich, wo sie sich befindet. Warum ist die Seele, wenn Sie existent sind, unsichtbar?
Wenn Sie sagen, daß sich die Seele in Ihrem Innern befindet, dann bringen Sie sie doch zum Vorschein. Sie sagen, daß Sie das nicht können? Dann haben Sie damit die Seele schon gekennzeichnet.
Wenn Sie sagen, daß die Seele zu Ihnen gehört, haben Sie die Dinge durcheinandergebracht.
Wenn Sie sagen, daß die Seele unsterblich ist, haben Sie die Situation nicht tief genug ergründet. Die Seele mag unsterblich sein, aber warum ist sie unsterblich? Beantworten Sie diese Frage, und Sie sind der Tiefgründigkeit schon sehr nahe gekommen.
Wenn Sie wissen wollen, wo die Seele ist, dann fragen Sie sich, wer über diese Frage nachdenkt.
Foto: A. + I. S. – Mongolei
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Tschuang-Tse
– Vom SINN –
Kui, der Meister vom Süden, befragte den Frauenarzt und sprach: „Ihr seid alt an Jahren, und doch ist Euer Aussehen wie das eines Kindes.“ Jener sprach: „Ich habe den SINN vernommen.“
Kui sprach: “Ist der SINN etwas, das man durch Lernen erlangen kann?“ Jener sprach: „Nein, wie sollte das möglich sein! Ihr seid nicht der Mann dazu. Da ist Sorglos Gratewohl, der hat die Gaben eines Berufenen, aber nicht den SINN des Berufenen. Ich verstehe den Sinn des Berufenen, habe aber nicht die Gaben dazu. Ihn möchte ich belehren; da wäre vielleicht zu hoffen, daß er ein Berufener würde. Aber auch abgesehen davon: Es ist leicht, den SINN des Berufenen einem Manne kundzutun, der die entsprechende Begabung hat. Wenn ich ihn bei mir hätte zur Belehrung, nach drei Tagen sollte er so weit sein, die Welt überwunden zu haben. Nachdem er die Welt überwunden, wollte ich ihn in sieben Tagen so weit bringen, daß er außerhalb des Gegensatzes von Subjekt und Objekt stünde. Nach abermals neun Tagen wollte ich ihn so weit bringen, daß er das Leben überwunden hätte. Nach Überwindung des Lebens könnte er klar sein wie der Morgen, und in dieser Morgenklarheit könnte er den Einzigen sehen. Wenn er den Einzigen erblickte, so gäbe es für ihn keine Vergangenheit und Gegenwart mehr; jenseits der Zeit könnte er eingehen in das Gebiet, wo es keinen Tod und keine Geburt mehr gibt. Das, was den Tod des Lebens herbeiführt, ist selbst dem Tod nicht unterworfen; das, was das Leben erzeugt, wird selbst nicht geboren. Es ist ein Wesen, das alle Dinge begleitet, das alle Dinge empfängt, das alle Dinge zerstört, das alle Dinge vollendet. Sein Name heißt: Ruhe im Streit. Ruhe im Streit bedeutet, daß er durch den Streit zur Vollendung kommt.“
Kui sprach: „Woher habt Ihr das nur gehört?“ Jener sprach: “Ich habe es gehört vom Sohne des Schriftstellers; der Sohn des Schriftstellers hat es gehört vom Enkel des Rhapsoden; der Enkel des Rhapsoden hat es gehört von Klarblick; Klarblick hat es gehört vom Hörenden; der Hörende hat es gehört vom Ton; Ton hat es gehört vom Laut; Laut hat es gehört vom Geheimnis; Geheimnis hat es gehört von der Leere; Leere hat es gehört vom Jenseits.“
Foto: A. + I. S. – Mongolei
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Deng Ming-Dao
Einsicht
Ming. Einsicht, hell, Morgendämmerung, einleuchtend, offen, intelligent, tugendhaft, erleuchtet.
Links ist die Sonne, rechts ist der Mond dargestellt. Die Sonne und der Mond sind die beiden hellsten Dinge; in Verbindung miteinander stellen sie Helligkeit auf Helligkeit dar.
Wer Sonne und Mond in sich vereint, erlangt höchste Klarheit.
Die Leute stellen sich vor, daß Spiritualität etwas Geheimes und schwer Verständliches ist. Doch das Gegenteil ist richtig. Spiritualität ist etwas, über das jedermann verfügt. Das einzige Problem besteht darin, daß wir gelehrt wurden, nicht auf die natürliche Stimme in unserem Innern zu hören.
Die Leute stellen sich vor, daß Spiritualität etwas Esoterisches ist, ein Wissen, das von den Meistern gehortet wird. Doch das Gegenteil ist richtig. Die Meister und Meisterinnen wären glücklich, wenn die Mengen in Ihre Tempel strömten, um etwas über Tao zu hören. Doch die Tempel sind verwaist, und die Meister sterben, weil die Welt mehr an Geld und Vergnügungen interessiert ist.
Die Leute stellen sich vor, daß Spiritualität die Dinge leicht machen sollte. Doch das Gegenteil ist richtig. Das Wissen von Tao enthebt uns nicht des menschlichen Dilemmas: Es klärt es. Doch es bestehen Welten des Unterschieds zwischen jenen, die mit Einsicht leiden, und jenen, die in Unwissenheit leiden. Es ist weitaus besser, über Einsicht zu verfügen.
Die Leute stellen sich vor, daß Spiritualität große geistige Differenziertheit erfordert. Doch das Gegenteil ist richtig. Es ist nur nötig, daß wir die polare Natur unserer Persönlichkeit erkennen und dann begreifen, wie wir diese Gegensätze nutzbar machen können. Wenn wir das tun, werden wir die Bedeutung des Absoluten verstehen.
Wenn Sie die natürliche Stimme im Innern vernehmen wollen, müssen Sie erst die Stimmen der Profitgier und der Selbstsüchtigkeit zum Schweigen bringen. Wenn Sie etwas über Tao lernen wollen, dann machen Sie sich ans Lernen, bevor alles Wissen verlorengegangen ist. Wenn Sie ein spirituelles Leben führen wollen, dann gewinnen Sie Einsicht in die menschliche Bedingtheit. Wenn Sie das Absolute erreichen wollen, dann versöhnen Sie die Gegensätze mit der vereinten Kraft von Sonne und Mond.
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Lao-Tse
Im Tao te King steht:
Treibe das Leersein bis zum Äußersten
und bewahre die Stille unerschütterlich:
Die abertausend Geschöpfe ringsum entfalten sich,
und ich schaue also ihre Wiederkehr –
Alsdann kehren die Geschöpfe, die zahlreichen,
alle wieder heim zu ihrer Wurzel:
Die Heimkehr zur Wurzel aber nennt man Stille,
das ist die Rückkehr der Bestimmung;
Die Rückkehr der Bestimmung nennt man das Beständige,
das Wissen vom Beständigen nennt man Erleuchtung.
Das Nichtwissen vom Beständigen aber,
das schafft sich unüberlegt Unglück.
Das Wissen vom Beständigen ist Duldsamkeit,
Duldsamkeit ist überdies Redlichkeit,
Redlichkeit ist überdies Edelsinn,
Edelsinn ist überdies Himmlisches,
Himmlisches ist überdies der rechte Weg,
der rechte Weg ist überdies Dauer.
Ein untergehendes Selbst ist nicht zu gefährden.
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